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„Wir brauchen einen Masterplan für bezahlbares Wohnen“

Scout24 CEO Tobias Hartmann im Interview bei The Pioneer. Deutschland hat eine niedrige Eigentumsquote und mit die höchsten Mieten. Ein Gespräch mit dem CEO von Scout24, der börsennotierten Muttergesellschaft von ImmoScout24, Tobias Hartmann über einen intransparenten Markt, steigende Finanzierungskosten - und einen überraschenden Konkurrenten.
Portraitfoto Tobias Hartmann, CEO von Scout24
Infografik Verschiebung von Angebot und Nachfrage

Quelle: The Pioneer

Alexander Wiedmann:Herr Hartmann, meine Eltern haben vor 15 Jahren ein Haus gekauft und im Nachhinein zu einer günstigen Phase zugeschlagen. Für viele in meiner Generation, also den Anfang 30-Jährigen, scheint der Immobilienbesitz inzwischen utopisch. Ist der Traum vom Eigenheim für die meisten also ausgeträumt?

Tobias Hartmann: Das glaube ich nicht. Der Wunsch nach Eigentum ist in Deutschland nach wie vor sehr groß – gerade in der jüngeren Generation unter 30 Jahren wünschen sich drei Viertel der Menschen in Deutschland Wohneigentum. Eine eigene Immobilie stellt eine zusätzliche Absicherung fürs Alter dar. Hinzu kommt: Eigentum verpflichtet. Mit seinem eigenen Haus oder seiner eigenen Wohnung geht man pfleglicher um. So können notwendige Zukunftsinvestitionen auf mehr Schultern verteilt werden.

Wie steht es um die Eigentumsquote in unserem Land?

Hartmann: Deutschland ist EU-weit Schlusslicht bei der Wohneigentumsquote. Eigentum muss erschwinglicher und somit zu einer attraktiven Alternative zum Mieten werden. Wir brauchen dringend wieder ein wirksames Förderinstrumentarium, nachdem das Wirtschaftsministerium im letzten Jahr die zinsvergünstigten KfW-Darlehen gestrichen hat und das Baukindergeld ausgelaufen ist. Die bislang auf den Weg gebrachten Förderprogramme für klimafreundlichen Neubau und Wohneigentum für Familien werden bei weitem nicht reichen, zumal die Vergabekriterien sehr eng gefasst sind.

Lohnt sich denn aus Rendite-Sicht immer noch der Kauf einer Immobilie?

Hartmann: Immobilien sind eine sehr wertstabile Anlage. Seit 2009 sind die Angebotspreise für Bestandswohnungen um rund 200 Prozent gestiegen, für Neubau-Wohnungen um 150 Prozent. Allein in den fünf Jahren zwischen 2016 und 2021 haben Wohnimmobilien eine durchschnittliche Wertentwicklung von über 10 Prozent pro Jahr erfahren. Das vielbeschworene Betongold lag damit auf lange Sicht sogar über der Rendite des Goldpreises und der Entwicklung des DAX und zeigt sich dabei deutlich weniger volatil, also weniger risikobehaftet. Immobilien sind und bleiben eine attraktive Anlageform – auch und gerade in Krisenzeiten.

Aber im vierten Quartal 2022 sind die Immobilienpreise zum ersten Mal seit 2010 wieder gefallen. Glauben Sie dennoch, dass die Wertsteigerung in den nächsten zehn Jahren so weitergehen wird?

Hartmann: In die Zukunft kann ich natürlich nicht schauen. Der Markt befindet sich gerade in einer Anpassungsphase. Aber wir glauben schon, dass die Preise wieder steigen werden, wenn die Inflation sich stabilisiert hat und die Preiserwartungen von Käufern und Verkäufern ein neues Gleichgewicht gefunden haben.

Wir sind ein Zuzugsland und es gibt nach wie vor viel zu wenig Wohnraum in Deutschland. 2022 hat Deutschland über eine Million geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Es fehlen aktuellen Berechnungen zufolge 700.000 Wohnungen in Deutschland. Um dieses gewaltige Defizit zu decken, brauchen wir sowohl viel mehr günstigen Wohnraum zur Miete als auch realistische Rahmenbedingungen für den Erwerb von Wohneigentum, um den Mietmarkt zu entlasten.

Es gibt zu wenig Wohnraum in unserem Land und der größte Immobilienkonzern Deutschlands, Vonovia, hat für 2023 alle Neubauprojekte gestoppt. Wie haben Sie diese Entscheidung wahrgenommen?

Hartmann: Volkswirtschaftlich ist das sehr schade, aber betriebswirtschaftlich nachvollziehbar. Die Baukosten sind stark gestiegen und es gibt zu viele zwar gut gemeinte aber komplexe Vorschriften, die den Wohnungsbau in unserem Land zu teuer machen. Der Neubau rentiert sich aus wirtschaftlichen Aspekten für viele nicht. Wir haben zu viel Regulierung, zu viele Vorschriften in diesem Land. Bauen in Deutschland muss wieder einfacher, günstiger und schneller werden. Es muss mehr Wohnraum entstehen – nicht punktuell, sondern schnell und in großer Masse. Sonst wird sich der Mangel von Wohnraum weiter dramatisch verschärfen.

Gibt es in Deutschland genügend Wohnraum – nur an der falschen Stelle?

Hartmann: Ich würde eher sagen: Es wurde zum Teil an den Interessen der Menschen vorbei gebaut. Zum Beispiel zeigen unsere Daten, dass die klassische Zwei-Zimmer-Wohnung mit 50 bis 60 Quadratmeter Wohnfläche in den deutschen Großstädten am stärksten nachgefragt wird, dagegen werden meist größere Wohnungen von 75 bis 80 Quadratmetern angeboten.

Dass es heute mehr Singles als früher gibt, war nicht unbedingt absehbar…

Hartmann: Ich denke, es handelt sich eher um eine Frage der Finanzierung. Die Leute hätten gerne größere Wohnungen, können es sich aber in den Großstädten oft nicht leisten. Zu große und zu teure Wohnungen gehen am Bedarf der großen Masse der Gering- und Normalverdienenden vorbei.

Gleichzeitig sind die Finanzierungskosten beim Hausbau durch die Zinserhöhungen der EZB stark gestiegen. Der Leitzins wirkt unmittelbar auf den Bauzins. Ist die Immobilienbranche durch die Zinserhöhungen am stärksten betroffen?

Hartmann: Wir spüren die Auswirkungen auf den Immobilienmarkt jedenfalls unmittelbar. Aber seien wir mal ehrlich. Ein Zinsniveau von vier Prozent ist grundsätzlich kein Drama und das ist auch nicht der Kern des Problems. Ich selbst habe Ende der 90er Jahre zu einem Zinsniveau von knapp sieben Prozent eine erste Wohnung finanziert.

Was ist dann das Problem?

Hartmann: Die lange Niedrigzinsphase war eine außergewöhnliche Situation. Kaufinteressenten, Investoren und Projektentwickler haben die Schnelligkeit und Wucht des Zinsanstiegs im letzten Jahr gleichermaßen kalt erwischt. Das neue Zinsniveau hat dazu geführt, dass die Menschen sich Wohneigentum zu den bisher gewohnten Konditionen nicht mehr leisten können. Und sie wird in den nächsten Jahren all diejenigen in Schwierigkeiten bringen, die nach Auslaufen ihrer Zinsbindung eine Anschlussfinanzierung brauchen.

Wird die Notenbank die Zinsen weiter erhöhen oder angesichts der Bankenkrise einen zurückhaltenderen geldpolitischen Kurs fahren? Was glauben Sie?

Hartmann: Ich bin kein Ökonom, aber bei allem, was man so hört und liest, rechne ich noch mit ein bis zwei weiteren Zinsschritten, um die Inflation in den Griff zu bekommen.

Werden wir jemals wieder so eine Niedrigzinsphase erleben oder sind diese Zeiten für immer vorbei?

Hartmann: Dass wir in absehbarer Zeit wieder in so ein Terrain kommen von Zinsen zwischen ein und zwei Prozent halte ich persönlich für unwahrscheinlich.

Welche Auswirkungen haben die gestiegenen Zinsen konkret für den Immobilienmarkt?

Hartmann: Nicht nur die Zinsen, auch die Energiekosten haben den Immobilienmarkt komplett gedreht. Die historisch niedrigen Zinsen hatten die Nachfrage nach Immobilien zum Kauf und damit auch die Preisentwicklung angetrieben. Das konnten wir sehr deutlich in unseren Daten ablesen. Gleichzeitig stieg während der Corona-Pandemie die Nachfrage nach größeren Wohnungen und Häusern mit Garten in den Speckgürteln rund um die Großstädte.

Das verfügbare Angebot lag hingegen in den Corona-Jahren 2020 und 2021 auf einem Tiefstand. Der rasche Anstieg der Zinsen im letzten Jahr hat den Immobilienmarkt auf den Kopf gestellt. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien zum Kauf ist gegenüber dem Höchststand in 2021 um 49 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig ist im gleichen Maße wieder mehr Angebot im Markt. Der Markt hat sich in Rekordzeit vom Verkäufer- zum Käufermarkt gedreht.

Wenn man die Entwicklung in den vergangenen 15 Jahren betrachtet, waren die Jahre 2021 und 2022 also zwei außergewöhnliche Ausreißer?

Hartmann: Ja! Selbst in 2008 sind die Kauftransaktionen nicht so stark eingebrochen wie im vergangenen Jahr. Anders als während der Finanzkrise belasten nun mehrere Faktoren das Geschäft. Die Corona-Pandemie hatte bereits zu einer Störung der globalen Lieferketten geführt. Zum Beispiel war Bauholz kaum zu bekommen und hat sich enorm verteuert. Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat diese Situation nochmals deutlich verschärft – gerade für die Baubranche.

Gleichzeitig hat er zum raschen Anstieg der Energiekosten und ganz wesentlich zum starken Anstieg der Inflationsraten geführt. Darauf haben die Banken mit einer Anhebung der Zinsen und einer restriktiveren Vergabepraxis für Kredite reagiert. Zudem hat der Zustrom geflüchteter Menschen die Wohnraumproblematik verschärft. Diese Faktoren hätten einzeln schon drastische Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Gemeinsam entsteht eine ernstzunehmende Gemengelage, die dringendes Handeln erfordert.

Was schlagen Sie vor?

Hartmann: Die Wirtschaft kann einzelne Probleme anpacken, aber die Politik muss realistische Rahmenbedingungen setzen – sowohl für den Neubau als auch für Sanierung und den Mietmarkt. Deutschland braucht einen Masterplan für bezahlbares Wohnen, der auch den Erwerb von Wohneigentum einschließt.

Die Politik muss umgehend wirkungsvolle finanzielle und organisatorische Sofortmaßnahmen anbieten, damit Neubau trotz des schwierigen Marktumfelds wirtschaftlich bleibt. Der Prozess von der Planung, über den Bauantrag bis zur Fertigstellung muss deutlich einfacher, digitaler und damit schneller werden, damit die anvisierte Größenordnung von bezahlbaren Wohnungen erreichbar wird. Weniger Regulation führt zu weniger Bürokratie und Verzögerung.

Dazu brauchen wir ein verlässliches Förderumfeld. Um genug bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müssen Politik und Verwaltung wirksame Anreize für Neubau und Sanierung bereitstellen.

Trotz Krieg und Krise haben Sie im Geschäftsjahr 2022 dennoch ein zweistelliges Umsatzwachstum erzielt. Wie passt das zusammen?

Hartmann: 2022 war ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr für uns. Der Immobilienmarkt ist höchst komplex. Und in Deutschland ist er noch komplexer als anderswo. Wir wollen mehr Transparenz schaffen und profitieren von den vor- oder nachgelagerten Prozessen bei der Immobilienvermittlung. In diesen Bereichen bieten wir eine Vielzahl von Services für alle Marktteilnehmer an – für Eigentümer, Immobiliensuchende und Anbieter. Der Immobilienmarkt steht niemals still. Wenn die Nachfrage in einem Bereich zurückgeht, verschiebt sie sich in einen anderen.

Aber klar ist doch auch: Wenn mehr gebaut wird, dann verdienen Sie auch mehr?

Hartmann: Nicht unbedingt. Wir als Unternehmen profitieren davon, wenn ein höherer Umschlag stattfindet. Allerdings nicht unmittelbar. Denn die meisten unserer Services sind Flatrate-Produkte. Unser Ziel ist es vielmehr, die Interessen von Anbietern, Nachfragern und Immobilienmaklern zusammenzuführen.

Braucht es denn in Zeiten von Digitalisierung überhaupt noch Immobilienmakler?

Hartmann: Immobilienmakler spielen sogar eine Schlüsselrolle, weil sie die fehlende Lücke zwischen Käufern und Verkäufern füllen. Auf dem deutschen Immobilienmarkt ist die Digitalisierung doch noch gar nicht angekommen. Es gibt eine zu geringe Datenverfügbarkeit in Deutschland. Wenn Sie ein Haus kaufen möchten, finden Sie über diese Immobilie doch fast nichts im Netz. Es herrscht hierzulande eine hohe Intransparenz zu wichtigen Themen rund um die Immobilie, wie zum Beispiel zu fairen Marktpreisen, zur Immobilienbewertung und zum Zustand der Immobilien.

Handelt es sich hier um ein deutsches Thema?

Hartmann: Das ist insbesondere ein deutsches Thema. Andere Länder auch innerhalb von Europa sind hier schon viel weiter. Bei dem Kauf eines T-Shirts können Sie sich informieren, wo es produziert wurde, wie die Lieferketten sind und welcher Anteil an zertifizierter Bio-Baumwolle enthalten ist. Bei Immobilien wissen wir fast nichts.

Wer ist eigentlich Ihr größter Konkurrent auf dem deutschen Markt?

Hartmann: Es gibt natürlich noch einige andere Plattformen, aber unser größter Konkurrent ist eigentlich der Graumarkt. Das sind die Immobilien, die gar nicht erst im Netz landen, weil sie unter der Hand vergeben werden.

Interessant. Das sind auch die Wohnungen, die über Instagram zur kurzfristigen Miete geteilt werden, oder? Wie groß schätzen Sie diesen Markt ein?

Hartmann: Ja, genau. Wir schätzen, dass ungefähr 40 bis 50 Prozent der Kauf-Transaktionen im Graumarkt stattgefunden haben. Dieser Teil des Marktes ist in den vergangenen 12 bis 15 Monaten kleiner geworden, weil sich die Marktbedingungen geändert haben. Immobilien stehen jetzt vermehrt und länger im Netz. Es reicht eben nicht mehr, nur das eigene Netzwerk anzuzapfen. Die Immobilien müssen bestmöglich und effizient vermarktet werden, um den richtigen Käufer zu finden.

Wenn Immobilien nun länger im Netz stehen, könnte sich für potenzielle Käufer gerade jetzt ein günstiges Fenster öffnen, oder?

Hartmann: Aktuell finden Kaufinteressierte mit genügend Eigenkapital wieder deutlich mehr verfügbare Angebote im Markt und können die Preise eher verhandeln, als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Auch die Schere zwischen den Kaufpreisen und den Mieten hat sich ein Stück weit geschlossen, was die Investition in Vermietungsobjekte wieder attraktiver macht. Dadurch steigen die Bruttomietrenditen wieder.

Seit dem vierten Quartal sehen wir in unseren Daten, dass die Kaufnachfrage wieder anzieht. Und auch während der Phase der Neuorientierung haben wir zwar weniger Kontaktanfragen auf ImmoScout24 registriert, aber die Gruppe der Kaufinteressenten war wesentlich aktiver. Das zeigt, dass die Nachfrage nach Wohnimmobilien sowohl zur Eigennutzung wie als Kapitalanlage auch in schwierigen Zeiten anhaltend hoch ist.

Herr Hartmann, vielen Dank für das Gespräch!

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